Vertreterinnen und Vertreter christlicher Kirchen im Austausch mit der Jüdischen Gemeinde Münster
Vertreterinnen und Vertreter des Evangelischen Kirchenkreises Steinfurt-Coesfeld-Borken folgten einer Initiative des katholischen Kreisdekanats Coesfeld und besuchten gemeinsam die Jüdische Gemeinde in Münster, um über die Frage „Wie gelingt jüdisches Leben im Münsterland?“ ins Gespräch zu kommen.
Ein Zeichen der Solidarität
Dr. Karina Hoensbroech, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Münster, begrüßte die Gäste mit den Worten: „Wir freuen uns sehr über Ihren Besuch, den wir als Zeichen der Solidarität in Zeiten des anwachsenden Antisemitismus werten.“ Anna Stöckmann, Mitglied der Gemeindevertretung, gab einen Einblick in die Geschichte der Jüdischen Gemeinde in Münster. Sie erläuterte, dass 95 % der Mitglieder aus der ehemaligen Sowjetunion stammen. Zudem wies sie darauf hin, dass Synagogen keine heiligen Orte im christlichen Sinne seien, sondern Versammlungsstätten. Stöckmann erklärte weiter, dass das Judentum nicht missioniere: „Man kann konvertieren, aber das ist ein langer und aufwendiger Prozess. Man muss sein komplettes Leben umkrempeln.“ Auch das Zölibat sei im Judentum unbekannt, da Familie und Zusammenhalt von großer Bedeutung seien: „Wir sind überall auf der Welt in der Minderheit. Daher ist es wichtig, dass wir uns gegenseitig stützen und nicht alleine sind.“
Erschütterung über den 7. Oktober 2023
Im anschließenden Gespräch wurde der Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 thematisiert. Sharon Fehr, Geschäftsführer und Ehrenvorsitzender der Gemeinde, bezeichnete diesen Tag als „schwarzen Schabbat“ und betonte die tiefe Erschütterung der jüdischen Gemeinschaft: „Die Terroristen wurden auch hier in Deutschland, ja sogar in Münster, teilweise offen als Helden gefeiert. Unsere Gemeindemitglieder sind sehr irritiert darüber.“ Er warnte vor dem zunehmenden Antisemitismus und Rassismus, der an den Grundfesten der Gesellschaft rüttle, betonte jedoch: „Wir wollen uns nicht entmutigen lassen!“
Erwartungen an die Gesellschaft
Kreisdechant Jörg Hagemann stellte die Frage, was sich die jüdische Gemeinde von den christlichen Kirchen wünsche. Fehr betonte, dass allein die Anwesenheit und das Zuhören ein wichtiges Zeichen seien. Besorgnis äußerte er über den Rechtsruck, aber auch über linken Antisemitismus. In der Diskussion sprachen sich verschiedene Teilnehmende für mehr Engagement gegen Antisemitismus aus. Superintendentin Susanne Falcke erklärte, dass die Gesellschaft eine beängstigende Ratlosigkeit angesichts der politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen offenbare und stellte die Frage, welche Zeichen noch nötig seien. Anna Stöckmann betonte, dass aktuell bewusst auf einer höchstemotionalen Ebene gearbeitet werde und Bildung und Information allein nicht schützen. Es sei wichtig, die Menschen auch emotional zu erreichen. Benedikt Helmich, Geschäftsführer des Kreisdekanats Coesfeld, wies darauf hin, dass die letzten Ergebnisse der Landtagswahlen in Ostdeutschland zeigten, dass es keine Frage der Bequemlichkeit mehr sei. Eine hohe Wahlbeteiligung schütze nicht vor rechtslastigen Ergebnissen.
Vier Gefährdungen Europas
Privatdozent Dr. Matthias Laarmann, Vorsitzender des Kreisdekanatsvorstands, verwies auf den französischen Soziologen Gilles Kepel, der vier große Gefährdungen für Europa benenne. Zunächst gebe es radikalisierte Parallelgesellschaften mit Distanz zum Staat. Zudem seien bestimmte postmoderne Ideologien und postkoloniale Identitätsbewegungen problematisch, da sie den Vorrang einer universalen Rationalität in Frage stellten. Darüber hinaus breite sich völkisch-nationalistischer Rechtsextremismus europaweit aus. Schließlich kritisierte Kepel europäische Eliten, die diese Entwicklungen ignorierten.
Sicherheitsgefühl der jüdischen Gemeinschaft
Anna Stöckmann schilderte, dass Menschen, die jüdische Symbole wie eine Kippa tragen, auf den Straßen Münsters negative Erfahrungen machen. Monika Holtkamp, Mitglied des Kreisdekanatsvorstands, konnte diesen Eindruck aus ihrer Arbeit in der Ehe- Familien – und Lebensberatung in Coesfeld und Dülmen bestätigen: „Das fehlende Sicherheitsgefühl ist dramatisch. Aus Gesprächen mit jüdischen Menschen weiß ich, dass viele darunter sehr leiden“.
Trotz aller Herausforderungen endete das Treffen mit einer hoffnungsvollen Botschaft. Sharon Fehr betonte abschließend: „Wir sind traurig, aber werden nicht hoffnungslos, solange wir Freunde wie euch an unserer Seite wissen.“
Foto: Helmich / Kreisdekanat
25.02.2025